Das Steuerrecht als Sanierungshindernis

Das jüngste Urteil des Bundesfinanzgerichts (BFH) und die steuerrechtlichen Tücken einer Sanierung

Die Sanierung eines Unternehmens, einer Einzelfirma etc. könnte manchmal so einfach sein, wenn nicht das Steuerrecht den Betroffenen immer wieder Knüppel zwischen die Beine werfen würde. So löst der gerade vor wenigen Tagen veröffentlichte Beschluss des Großen Senats des BFH (GrS 1/15 vom 28.11.16) bei vielen Sanierungsbedürftigen und deren Beratern eine Schockstarre aus. Aber worum geht es nun konkret?

 

Der Sachverhalt ist eigentlich recht einfach. Ein Einzelunternehmer ist in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Nach langwierigen Verhandlungen sind seine Gläubiger bereit, einem Schuldenschnitt zuzustimmen. D.h., um die Einzelfirma zu erhalten und die Insolvenz abzuwenden, verzichten die Gläubiger auf einen Großteil ihrer Forderungen. Die Freude unseres Einzelunternehmers währte jedoch nicht lange, da er die Rechnung ohne das Finanzamt gemacht hat. Dieses schickte unserem Einzelunternehmen ein Glückwunschtelegram in Form eines Steuerbescheides und forderte Steuern auf den durch den Verzicht der Gläubiger erlassenen Betrag. Hä, wie geht denn das? - wird sich unser Einzelunternehmen wohl gefragt haben. Das Problem liegt nun in den Tiefen unseres Steuerrechts. Ein Unternehmer, der Schulden erlassen bekommt, erzielt nach der Logik des Steuerrechts einen Ertrag. Um in der Terminologie des Steuerrechts zu bleiben, spricht man von einem außerordentlichen Ertrag; umgangssprachlich heißt es Sanierungsgewinn.

 

Noch vor Jahren war dies eigentlich kein großes Thema. Denn in § 3 Nr. 66 EStG a.F. war die Steuerfreiheit der Sanierungsgewinne gesetzlich geregelt. Die Privilegierung von Sanierungsgewinnen fiel mit einer der vielen Steuerreformen dem Rotstift zum Opfer. Seit dieser Zeit sind Sanierungsgewinne grundsätzlich zu versteuern. Zu einer spürbaren Belastung der Betroffenen sollte die Streichung eigentlich nicht führen, da die Verlustvorträge der sanierungsbedürftigen Unternehmen die Sanierungsgewinne aus den Verzichten bei weitem übersteigen und damit nach der Saldierung der Sanierungsgewinne mit den Verlustvorträgen keine Steuerzahlschuld entsteht. Soweit die Erwartung des Gesetzgebers. Aber wie so oft, klafft zwischen Theorie und Praxis ein gewaltiges Loch. 

Es zeigte sich, dass in vielen Fällen die Verlustvorträge bei weitem nicht ausreichen, die Sanierungsgewinne abzufangen. In der Praxis führte dies zu mehr als unbefriedigenden Ergebnissen. Das eben über die Gläubigerverzichte sanierte Unternehmen wird durch die Abrissbirne des Finanzamtes zerschlagen und in die Insolvenz getrieben. In der Konsequenz bedeutet dies nicht nur den Ausfall der gerade erhobenen Steuern, sondern auch die Gefährdung von Arbeitsplätzen. Gelöst werden konnte diese Situation über die Billigkeitsvorschriften der §§ 163, 227 AO. Danach konnte auf die Erhebung oder Festsetzung der Steuern aus dem Sanierungsgewinnen verzichtet werden, wenn die Zahlung zu einer unbilligen Härte führt. Was eine unbillige Härte ist, ist heillos umstritten und eine Ermessensfrage des Finanzamtes. Um es auf den Punkt zu bringen, es besteht eine hohe rechtliche Unsicherheit.

Nun hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) - das Problem erkennend - ein Herz für die sanierungsbedürftigen Unternehmen. Deshalb formulierte das BMF am 27.03.2003 (IV A 6-S 2140-8/03 ergänzt durch das Schreiben vom 22.12.2009 IV C 6-S 2140/07/10001-01) den sogenannten Sanierungserlass. Danach waren die aus der Sanierung entstehenden Sanierungsgewinne (vereinfacht ausgedrückt) aus Billigkeitsgründen durch die Finanzämter zu erlassen, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen der §§ 163, 227 AO erfüllt waren. Das Ermessen der Finanzämter war nach dem Sanierungserlass des BMF auf „Null“ reduziert.

 

Auf diesen Sanierungserlass berief sich auch unser Einzelunternehmer. Er stieß aber beim Finanzamt auf taube Ohren, weshalb die Angelegenheit beim Finanzgericht landete. Der BFH erteilt nunmehr in letzter Instanz dem BMF in seinem 17-seitigen Beschluss eine klare Abfuhr. Der BFH stellt fest, dass das BMF keine gesetzgebenden Kompetenzen besitzt und gesetzgeberische Entscheidungen (die Streichung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen) nicht durch einen sog. Sanierungserlass aushebeln kann. Genauso wenig kann sich das BMF über die gesetzlichen Billigkeitsvorschriften der §§ 163, 227 AO hinwegsetzen.

 

Und was bedeutet dies jetzt für die Praxis? Wir haben nunmehr die Rechtslage, die schon eh immer bestanden hat. Der Steuerpflichtige muss sich auf die Billigkeitsvorschriften der §§ 163, 227 AO stützen und hoffen, dass das Finanzamt dieselbe Rechtsauffassung besitzt. Eine Ermessensreduzierung auf „Null“, wie das BMF es im Sanierungserlass postuliert hat, gibt es nicht mehr. Damit besteht erneut eine große rechtliche Unsicherheit, die einer Sanierung sicherlich nicht förderlich ist. Ungeklärt ist auch die Frage, was mit den „Altfällen“ geschieht, die auf die Rechtswirksamkeit des Sanierungserlasses des BMF vertraut haben. Es ist zu hoffen, dass der Gesetzgeber nunmehr endlich einschreitet und eine klare gesetzliche Regelung trifft. Ansonsten wird es mit Sicherheit eine Vielzahl von Insolvenzen geben, sobald die Finanzämter die Steuern aus den Sanierungsgewinnen festsetzen und erheben.